Ein Artikel von Jérôme, veröffentlicht in der Zeitschrift Yoga-Info 1-2024, Thema „Yoga und Sprache“, herausgegeben vom Österreichischen Yogalehrerverband (BYO). Die Redaktion bat Jérôme, BYO-Delegierter bei der Europäischen Yoga-Union (UEY), darüber zu berichten, was es für ihn bedeutete, Yoga in einer anderen Sprache als der zu unterrichten, in der er ursprünglich ausgebildet wurde.
„Ich habe meine Ausbildung zum Yogalehrer während fünf Jahren in Frankreich absolviert, also in französischer Sprache, aber kurz danach bin ich mit meiner Frau nach Wien gezogen. Aliette begann auf französisch zu unter- richten, für französischsprachige Schüler, und ich dachte, dass ich daher Deutsch sprechende Schüler unterrichten müsste. Deutsch ist nicht meine Muttersprache, aber ich habe Deutsch seit meinem zehnten Lebensjahr gelernt und es an der Universität studiert. Außerdem war ich immer an der deutschen Kultur und Literatur interessiert.
Den Unterricht in Deutsch zu beginnen war sehr anregend und anspruchs- voll. Ich habe einige einfache und praktische Methoden angewendet: Ein österreichischer Freund war bereit, als Versuchskaninchen zu dienen. Ich habe ihm kostenlos Yogaunterricht gegeben und er hat mir Feedback und mögliche Verbesserungen gegeben. Ich habe mich bei Yoga Austria – BYO angemeldet, die mich nach einigen Überprüfungen sehr freundlich aufgenommen haben, und hatte somit Zugang zu Veröffentlichungen und Werken über Yoga in deutscher Sprache. Ich habe Yoga-Kurse in Deutsch besucht, mit LehrerInnen des BYO, und habe an mehreren Seminaren in deutscher Sprache teilgenommen. Ich habe das Thema ernsthaft und methodisch an- gegangen, indem ich Vokabellisten über den Körper, Emotionen, Bilder usw. auswendig gelernt habe. Diese Vorbereitungsarbeit hat mindestens ein Jahr gedauert.
Das erschien mir notwendig, weil unsere Lehrenden an der Ausbildungs- schule immer sehr auf die Bedeutung der Stimme hingewiesen haben, insbesondere auf folgende Punkte: klar und präzise sprechen, sich an die Schüler richten und nicht an sich selbst (ich er- innere mich an den Beitrag einer Theater-Schauspielerin, die uns als Yoga-Lehrerin beigebracht hat, wie man sich an eine Gruppe von Schülern wendet), Vorschläge und Angebote machen anstatt Befehle zu geben, eine Aussage neu formulieren, wenn sie falsch verstanden wird, indem man andere Wörter verwendet, auf den Tonfall der Stimme achten, der vorzugsweise Freundlichkeit und Verständnis vermitteln sollte.
Wien ist eine große internationale Stadt, die ich sehr mag. Meine Schülerinnen sind nicht alle österreichischer Herkunft, ich habe einige aus Rumänien, Kroatien und anderen Ländern Osteuropas. Sie sind daher sehr verständnisvoll und wohlwollend, ebenso wie die österreichischen Schülerinnen. Und Yoga hat die wunderbare Eigenschaft, dass der Lehrer/die Lehrerin zwar unterrichtet, aber genauso viel von seinen/ihren Schülerinnen lernt. Die meisten meiner Schülerinnen hatten vorher noch keinen Yoga praktiziert. Es hat sie beruhigt zu sehen, dass ihr Lehrer nicht allwissend ist, sondern auch lernen muss. So entstand ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis.
Dennoch denke ich, dass ich in meiner Unterrichtsweise in Deutsch prägnanter und sparsamer mit Worten bin, als ich es wäre, wenn ich auf französisch unterrichten würde. Das Unterrichten auf Deutsch hat in meinem Fall die Notwendigkeit von Klarheit und Präzision verstärkt. Das lässt den Schülern wahrscheinlich mehr Zeit, sich auf ihr eigenes Empfinden zu konzentrieren und die inneren Empfindungen zu beobachten, was einen meditativen Ansatz darstellt. Ich leite auch Meditationssitzungen und Yoga Nidra auf Deutsch, und habe mich daher mit der Verwendung des Vokabu- lars innerer Bilder, feiner und subtiler Wahrnehmung und Atmung vertraut gemacht.
Yoga ist sehr reichhaltig und vielfältig. Daher bin ich mir bewusst, dass ich noch viele linguistische Entdeckungen machen muss, zum größten Nutzen meiner Schülerinnen, hoffentlich.“
— Jérôme Balladur
Jérôme hat nach einer Karriere als Finanzinvestor die vierjährige Yogalehrausbildung an der French School of Yoga South-East unter der Leitung von Boris Tatzky absolviert und ist Yogalehrer EFYSE/EYU. Seit 2013 lebt er mit seiner Frau Aliette und seinen vier Kindern in Wien und wurde Mitglied unseres Verbandes. Gemeinsam mit seiner Frau betreibt er seit 2015 das Yogastudio Ayovie in 1090 Wien und unterrichtet in Deutsch und Französisch. Er ist unser EYU-Delegierter und vertritt Yoga Austria-BYO bei zahlreichen Veranstaltungen.