Was ist Yoga?

Es gibt immer mehr Yoga-Praktizierende, besonders in den westeuropäischen Ländern sowie in Amerika. Yoga ist ein wachsender Markt geworden; wirtschaftliche und finanzielle Interessen unterstützen diese Entwicklung. Die Anzahl der Yoga-Magazine ist stark gestiegen, fast jeden Tag wird ein neues Yoga-Studio eröffnet, mehr und mehr Reiseveranstalter bieten Urlaubsprodukte an, die irgendwie mit Yoga verbunden sind. Der berühmte und umstrittene amerikanische Yoga-Lehrer namens „Bikram“ hat sogar versucht, Patente anzumelden, betreffend gewisser Yoga „Asanas“ (Körper-Haltungen). Zum Glück ist es ihm nicht gelungen, und Yoga wurde von der UNESCO im Jahre 2016 zum immateriellen Erbe der Menschheit proklamiert, neben anderen kulturellen Ausdrucksformen wie Tanz, Musik, Kunsthandwerk, usw.

Aber was genau ist Yoga? Wer versteht die Unterschiede zwischen den verschiedenen Formen von Yoga wie zum Beispiel: Hatha Yoga, Raja Yoga, Kundalini Yoga, Yoga Yiengar, Ashtanga Yoga, Vinyasa Yoga, Bier-Yoga, und dem vor kurzer Zeit in den USA erschienen Nackt-Yoga? Ist Yoga eine Religion? Muss man gelenkig sein, um Yoga zu üben? Gibt es ein gewisses Alter, ab dem man kein Yoga mehr üben kann? Ist das alles seriös und vernünftig? Yoga ist sicherlich sehr berühmt geworden, aber im Grunde bleibt es wenig bekannt. Viele machen sich falsche Vorstellungen von Yoga.

Yoga kommt ursprünglich aus Indien. Es ist eines der sechs „Darsana“ (Systeme) der indischen Philosophie. Das heißt, Yoga ist eine Weltanschauung und eine Befreiungsmethode. Das Wort Yoga stammt von der sanskritischen Wurzel „YUJ“, dessen Bedeutung „verbinden“ oder „vereinen“ ist. Körper und Geist werden miteinander vereint. Yoga ist ein Experiment, das die meisten von uns am Anfang durch den Körper erleben. Eine gut geführte Yoga-Praxis bringt ein gesünderes Leben, mehr Kraft und Energie und mehr Selbstvertrauen. Mit Hilfe der körperlichen Praxis lernt man sich selbst besser kennen: um eine Stellung gut auszuführen, muss man seine physischen und mentalen Grenzen erkennen und akzeptieren: Ja, ich bin nicht gelenkig, ja, ich habe Angst vor dem Kopfstand, ja, ich habe Rückenschmerzen, usw.

Bei diesem ersten Schritt erlebt man eine bessere Beziehung zu sich selbst, man akzeptiert und versteht sich besser, man erkennt seine eigenen Mängel und Eigenschaften. Der Körper wird der Ort der Weisheit, und Schritt für Schritt, mit Geduld und Konzentration, folgt man einem Prozess der Verwandlung: Mit sich besser verbunden sein bedeutet auch, dass man eine Konzentrationsfähigkeit entwickelt. Trotz der zahlreichen Aktivitäten und Hobbys, die wir haben, und trotz der starken Macht der sozialen Medien lassen wir uns nicht von unserem Ziel ablenken.

Das bringt uns auf natürliche Weise dazu, besser in Beziehung zu den anderen zu kommen. Um die anderen besser zu akzeptieren und zu verstehen, muss man bei sich selbst anfangen. In der Hinsicht ist Yoga keineswegs eine egoistische Praxis. Der einzige Zweck wäre im Grunde dann nur, sich auf seinen Körper zu konzentrieren oder gesund zu bleiben… Ganz im Gegenteil, Yoga bringt uns allmählich dazu, dass wir offener und toleranter den anderen Menschen gegenüber werden. Man entwickelt Mitgefühl für die anderen und Neugier und Verständnis für das Unbekannte.

Im Endeffekt, und je nach Wunsch, kann Yoga uns dazu bringen, dass wir uns mit der Lebensquelle verbinden (manche nennen sie „Gott“). Wir sind Teil des Universums, und sein Ursprung soll in jedem von uns eine Spur oder einen Keim hinterlassen haben. Die spirituelle Dimension des Yoga führt dazu, uns dieser Spur zu nähern. Und das passiert im Körper, deshalb sind körperliche Haltungen so wichtig: Sie fördern dieses intime Gespräch mit unserem Körper. Yoga-Praxis kann zu Bewusstseinszuständen führen, in denen wir besser verstehen oder ahnen können, was uns mit allen Menschen verbindet.

Ein berühmter Yogi namens Patanjali hat vor circa 2000 Jahren ein Werk über Yoga geschrieben: YOGA SUTRA, das aus 195 Aphorismen über Yoga besteht. In dem zweiten Sutra gibt Patanjali eine Definition von Yoga: „Yoga ist das Aufhören der Fluktuationen im Bewusstsein“. Es würde bedeuten, dass wir damit aufhören sollten, zu denken. Das ist praktisch unmöglich, wir sind denkende Menschen, und unser Geist arbeitet immer, sogar wenn wir schlafen. Wenn man dieses Sutra interpretiert, kann es bedeuten, dass man sein Leben in Ordnung bringen und seinen Geist beruhigen muss.

Und Patanjali gibt uns eine Methode im Sutra II.29, das sogenannte „Ashtanga Yoga“. Es stellt die acht Säulen des Yoga dar:

  1. Beziehung zum anderen
  2. Persönliche Disziplin
  3. Körperhaltungen
  4. Atemkontrolle
  5. Rückzug der Sinne
  6. Konzentration
  7. Meditation
  8. Meditative Versenkung

Gewaltlosigkeit oder anders gesagt, anderen nicht schaden zu wollen, ist der wichtigste Grundsatz, der die Beziehung zum anderen betrifft. Gewaltlosigkeit hat eine weite Bedeutung, und es geht im Grunde darum, dass man niemandem schadet, weder in Gedanken noch in Rede und Tat. Gewaltlosigkeit beginnt bei sich selbst. In Indien betrachtet man den Körper als Tempel, der uns geschenkt wurde, und deshalb sollen wir ihn pflegen und schützen. Es hat natürlich mit Ernährung, Gesundheit, Stress-Reduktion, Schlaf, Ruhe und Lebensfreude zu tun.

Yoga ist eine Lebensart. Sie ist vielfältig und für jeden von uns geeignet, jung oder alt, gesund oder nicht, sportlich oder nicht.

Die Beziehung zur Welt, zur Natur, zu den Menschen und natürlich auch zu den Tieren ist sehr wichtig im Yoga. Viele Körperhaltungen haben den Namen eines Tieres. Die Schildkröte ist das symbolische Tier für Yoga, dank ihrer zahlreichen Eigenschaften wie zum Bespiel:

  • Durchhaltevermögen: Die Schildkröte folgt einem gradlinigen Weg, von dem sie sich nicht ablenken lässt. Nach so einem Verhalten streben die Yogis: gezielt und konzentriert sein, immer durchhalten und weitermachen, nie aufgeben, sondern sich ergeben anpassen.
  • Verinnerlichung:  Die Schildkröte kann gehen und schwimmen und kann sich auch in ihren Panzer zurückziehen. Das symbolisiert den Rückzug der Sinne für die Yogis, die nicht von ihren Sinnen beherrscht werden und eine Kapazität entwickeln, sich nach innen zu wenden.
  • Anpassungsfähigkeit: Die Schildkröte geht durch verschiedene Welten. Das Ei wird in ein Loch in den Sand gelegt, die neugeborene Schildkröte findet ihren Weg durch den Sand bis zum Strand, geht bis zum Meer, wo sie schwimmt.
  • Ruhiger Atem: Die Schildkröte hat einen langsamen, tiefen, regelmäßigen Atem. Deshalb hat sie ein langes Leben.

Mit Yoga kann jeder diese Eigenschaften entwickeln. Yoga ist eine ausgeglichene Mischung aus Körperhaltungen, Atemübungen und Meditation. Yoga wirkt stark auf drei Ebenen: physisch, psychisch und geistig. Es ist eine natürliche Art, sich zu entspannen. Durch innere Ruhe entwickelt man Achtsamkeit sowie Lebensfreude.

Gleichzeitig wird der Körper geschmeidiger und kräftiger gemacht. Yoga passt sich an jeden von uns an. Ausgangspunkt ist für jeden die momentane körperliche Verfassung, im achtsamen Umgang mit den eigenen Schwächen oder Schwierigkeiten.

 

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